die ausstellung ist ursprünglich für das werkbundarchiv - museum der dinge in berlin entstanden und wird in winterthur noch bis zum 1.oktober gezeigt.
der ausstellungstitel bezieht sich auf ein pädagogisches konzept, das die geschwister charles und elizabeth mayo auf der grundlage der reformpädagogik von pestalozzi entwickelt haben. elizabeth mayo schrieb das schulbuch "lessons on objects", dazu entwickelte sie eine kleine kiste mit vier schubladen, in denen 100 verschiedene dinge und materialien enthalten waren. diese dinge sollten angeschaut, angefasst und mit allen sinnen erfasst werden, die wahrnehmung in sprache gefasst und ausgehend davon konkretes oder abstraktes wissen zu verschiedensten bereichen entwickelt werden.
Object Lesson Box, nach 1830 Sammlung Museum of the History of Science, Technology & Medicine, University of Leeds Foto: Esther Lie, aus Pressematerial zur Ausstellung, Museum der Dinge, Berlin. |
ein ganz herrliches beispiel der sammlung, aber auch der bereitstellung von materialkundlichem wissen sind die xylotheken. in buchform wird dabei jeweils ein baum dokumentiert: den buchrücken bildet die rinde, das holz den buchblock, der ausgehöhlt die blätter, äste, blüten und samen enthält.
hier geht es schon eher um die vermittlung von materialwissen an spezialisten, ähnlich den lehrsammlungen.
in den lehrsammlungen dienen materialien als referenzstücke zur identifizierung von stoffen, werden als nutzobjekte in experimenten verbraucht oder dienen der überprüfung von wissen. ganz entschieden ist hier nicht nur das schauen, sondern auch das anfassen, riechen und schmecken gefragt.
auch im handel und in der industrie werden materialien zu demonstrationszwecken zusammengestellt - einerseits um kunden über neue materialien herstellungsverfahren und qualitäten zu informieren, zum beispiel auf messen und in den musterkoffern der handlungsreisenden.
aber auch in den handelsakademien, den kunstgewerbeschulen und -museen, wo die durch den welthandel und die industrialisierung im 19. jahrhundert aufkommenden neuen materialien in ihren eigenschaften und potenziellen anwendungen erforscht und vermittelt werden.
spannend dabei auch materialien, die wir heute so garnicht mehr kennen oder zumindest nicht mehr voneinander unterscheiden könnten... die unscharfen knöpfe im hintergrund mussten wohl die kleidermacher in ihrer materialbeschaffenheit kennen. rechts vorne echtes und falsches fischbein zur verstärkung von korsagen und hemdkrägen.
ganz anders funktionieren die schaukästen, die sich als unterrichtsmaterialien im 20. jahrhundert verbreiten. hier wird nicht nur material gezeigt, sondern auch die gewinnung, verarbeitung und resteverwertung der produkte. wie der name schon sagt, kann hier anders als im ideal der ganzheitlichen materialbildung ausschliesslich geschaut werden.
zwei weitere "lessons" beschäftigen sich noch mit dem materialwissen im haushalt und in der literatur, eine weitere mit dem veränderten materialbewusstsein in der gegenwart. wo wertungen ins spiel kommen, wo "gutes" material gefördert und gefordert ist, wird rasch auch der zeitgeist sichtbar.
so kann in den 50er und 60er jahren plastikgeschirr "gut" sein, einfach der guten gestaltung halber, wie der werkbund mit seinen materialkisten zeigt. heute ist "gut", was aus nachhaltigem oder wenigstens recyceltem material hergestellt ist. die moralische aufladung dieser materialien sowie deren vermarktung wird in einer kleinen broschüre in der ausstellung hinterfragt, leider konnte ich die texte dazu nirgends finden.
die ausstellungstexte lassen sich übrigens hier nachlesen.
freude an der ausstellung haben sicher menschen, die selber gerne sammeln, auch und gerade alltägliche dinge und die sich über die teilweise sehr liebevolle präsentation der objekte freuen können. je nach zeitgeist wird nüchterner oder auch mal ganz verspielt präsentiert, letzteres zum beispiel ganz biedermeierlich im wiener fabriksprodukten-kabinett. ersteres in der zarges-box des werkbunds.
gut gelungen ist auch die überleitung zum schweizer materialarchiv, das mit einer von acht physisch erlebbaren sammlungen im gewerbemuseum in winterthur ansässig ist. das archiv kombiniert tastbare materialien mit einer digitalen datenbank, die auch im internet zur verfügung steht.
(wer sich vertieft mit einzelnen materialien auseinandersetzen will, wird auch im internet fündig, bei den object lessons, die materialien ausgehend von einem denkanstoss aus untersuchen.)
Each Object Lessons project will start from a specific inspiration: an
anthropological query, ecological matter, archeological discovery,
historical event, literary passage, personal narrative, philosophical
speculation, technological innovation—and from there develop original
insights around and novel lessons about the object in question.
was ich beim stöbern in einer der schubladen des materialarchivs gefunden habe, möchte ich ihnen auch noch gerne zeigen:
hier hat jemand mit viel enthusiasmus ein art privates musterbuch mit allerhand verschiedenen papieren angelegt.
teilweise eine wenig ungelenk von hand beschriftet, nicht immer ganz rechtschreibkonform, aber detailliert beschrieben, finden sich die unterschiedlichsten papiere. gerne hätte ich gewusst, wie dieses buch in der sammlung gelandet ist.
ganz clever auch die art der bindung: in ein nach art eines fotoalbums gestalteten buchumschlag und bund wurden nur kurze papierstücke eingefügt, an die sich später die einzelnen muster ankleben liessen. ob da wohl ein buchbinder oder eine buchbinderin am werk war?
am liebsten möchte ich gleich spontan auch so eine sammlung beginnen... eine habe ich sogar!
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nach dem museumsbesuch bleibt noch zeit für ein bisschen schlendern durch winterthur, das wetter ist wunderschön, die cafés locken, aber zum schluss besuche ich doch lieber eine bekannte in ihrem laden an der neustadtgasse 13. was mirjam ziebarth, eine der regionalen handwerkerinnen, die zusammen den gemütlichen laden betreiben, über die herstellung der lana rara zu erzählen weiss, passt so gut zu den object lessons, wie wenn ich den ausflug danach geplant hätte! lana rara ist ein strickgarn, das mit ganz viel enthusiasmus und zu einem überwiegenden teil aus der wolle von seltenen schweizer schafrassen hergestellt wird - eine beimischung von merinowolle sorgt für die notwendige weichheit. hergestellt wird das garn bei christoph vetsch im prättigau, wo mirjam und dominique den spannenden herstellungsprozess persönlich begleitet haben - eben davon erzählte mirjam mir so eindrücklich.
diese ausstellung wäre ja genau nach meinem geschmack!sammlungen, schachteln, objekte...! gut auch, dass mich dein beitrag daran erinnert hast, dass ich bei meinem nächsten berlin-besuch unbedingt das "museum der dinge" anschauen möchte.
AntwortenLöschenliebe grüße
mano