manchmal läuft es ein wenig seltsam, wenn man schon zu anfang des jahres, oder noch besser ende des vorhergehenden die urlaubswochen planen soll. so haben wir in diesem jahr, obwohl der urlaub in den frühlingsferien noch gar nicht so lange her ist, auch noch die beiden ersten juniwochen frei. mea culpa - ich hatte einen termin falsch eingetragen und als wir das bemerkten, war es zwar noch nicht zu spät, aber es hatten sich bereits neue termine im kalender angesammelt. schlussendlich fanden wir die idee, zuerst zu einem achtzigsten geburtstag zu fahren und danach dann weiter, die fahrräder mitzunehmen und irgendwo in deutschland fahrradfahren zu gehen, dann auch eine ziemlich gute. nur wurde unsere reisezeit dann wiederum durch einen anderen unverschiebbaren termin limitiert und so orientierte sich die auswahl des reiseziels auch an einer möglichst nicht so langen anreise. rechtzeitig fiel uns dann wieder ein, dass wir schon sehr, sehr lange die völklinger hütte im saarland besuchen wollten. die konnten wir von unserem zwischenstopp aus in gut drei stunden erreichen, also ideal. ferienwohnung gebucht (in radentfernung zum unesco-weltkulturerbe), ein bisschen ausserhalb saarbrückens und knapp hinter der französischen grenze - am dienstagabend startete unser fünftägiger kurzurlaub in der region saarbrücken.
den ersten tag nutzten wir zum ankommen.
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blick auf die saar
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wir suchten den besten anschluss ans radwegenetz und stellten fest, dass radfahren zum spass (entlang des saarradwegs) deutlich einfacher ist als radfahren als transportmittel von a nach b. letzteres wird bei der radwegeplanung regelmässig vergessen. nicht nur im saarland, aber da halt auch. unterwegs wurden wir von einem radelnden einheimischen angesprochen, der auf dem weg vom alten saarbrücker flughafen, der jetzt ein naturschutzgebiet ist bis vor die stadt mit informationen zu landschaft und stadt versorgt. und zur mentalität der menschen: "hauptsach gut gess" wurde in den nächsten tagen auch zu unserem motto.
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ehemaliger lokschuppen der garteneisenbahn
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rückweg über den deutsch-französischen garten, wo es vor längere zeit eine kindereisenbahn und einen sessellift gab. jetzt ist es einfach ein sehr schöner landschaftsgarten, der rege von den menschen besucht und genutzt wird. mit dem rad darf man durchfahren, aber nur auf einem weg und nur mit maximal 10 km/h.
auch zur völklinger hütte machten wir uns mit dem rad auf - und scheiterten diesmal an einer vernünftigen strecke. vielleicht gibt es aber auch einfach keine bessere - nein, die gab es, die entdeckten wir dann zwei tage später aus der anderen richtung kommend. ahnungslos wie wir aber am mittwoch noch waren, folgten wir den wegweisern und fuhren einen knappen kilometer auf der stadtautobahn in gegenrichtung auf einem 50 cm breiten weg - allerdings wenigstens durch eine leitplanke getrennt. der rest der strecke war dann easy und führte immer an der saar entlang.
meist durch viel grün, vor allem blühende hecken- und duftende multiflorarosen. aber kurz vor dem ziel halt auch am stahlwerk entlang.
die völklinger hütte ist eine grosse eisenhütte, deren anfänge im neunzehnten jahrhundert liegen. hier wurde bis in die achtziger jahre hinein roheisen aus eisenerz und kohle hergestellt. als sie stillgelegt wurde, lohnte sich eine demontage aufgrund des niedrigen schrottpreises nicht. ein glücksfall, denn so blieb sie fast unverändert erhalten, bis sie in den neunziger jahren als erstes denkmal der industrialisierung ins unesco-weltkulturerbe aufgenommen wurde. heute dient das gelände aber nicht nur als industriemuseum, sondern auch als ausstellungsort für kunst.
wir hatten uns ein bisschen schlau gemacht, über mögliche führungen und natürlich die momentanen ausstellungen und entschieden, dass wir auf jeden fall zwei tage auf dem riesigen gelände verbringen wollten. am ersten tag nahmen wir an einer führung zur eisenverhüttung teil und das war gut so: denn so blieben die riesigen rohre, schornsteine, stahlzylinder, die verwirrende anordnung der lorenbahn, der materialsilos und sonstigen rätselhaften anlagen nicht einfach bloss gruslig-schön vor sich hin rostende kulisse, sondern wir bekamen einen eindruck davon, wie hier bis vor vierzig jahren noch gearbeitet wurde.
zwei stunden liefen wir treppauf und treppab, liessen uns den prozess der eisenverhüttung erklären, und sahen von der materialmischung über die sinteranlage bis zum hochofen selbst vieles, aber nicht alles. ab dem kommenden jahr wird man hier auch die kokerei (aus der kohle musste zuerst ds energiereichere und wasserärmere koks hergestellt werden) und die trockengasreinigung (ein verfahren das hier auf der hütte entwickelt wurde) anschauen können. was man sich kaum vorstellen kann: die arbeitsbedingungen der menschen, die hier extremer hitze, gefährlichen gasen, heisser schlacke und glühendem erz aber auch oft der witterung ausgesetzt und in grosser höhe arbeiteten.
in der möllerhalle wurden erz und sinter gemischt, mit denen später die hochöfen befüllt wurden.
mit einem eigens dafür entwickelten system von selbstfahrenden elektrischen loren und seilbahnstrecken wurde das material auf die ebene der hochöfen transportiert.
einer der sechs hochöfen, umgeben von den winderhitzern sieht man ihn eigenlich gar nicht.
von der hochofenebe, der sogenannten gichtbühne, kann man die beiden schlackeberge hermann und dorothea sehen, die ihren namen nicht goethe, sondern dem ehemaligen fabrikbesitzerpaar zu verdanken haben.
die arbeiter, die von hier oben die hochöfen abwechselnd mit riesigen mengen erzmischung und koks befüllen mussten, durften dafür kam einen blick gehabt haben, mussten sie doch immer aufpassen, dass sie nicht zu viel vom kohlenmonoxidgas abbekamen, das aus den öfen beim öffnen herausströmte.
auch nicht lustig war sicher dieser arbeitsplatz, an dem abwechselnd die schlacke aus dem ofen geräumt und das roheisen abfliessen gelassen wurde. das eisen wurde und wird auch noch heute (aber von einem anderen platz aus) noch heiss ins stahlwerk gebracht, auf der schiene.
nach zwei stunden intensiver besucherführung waren wir reif für ein päuschen. zuerst sassen wir einfach noch so ein bisschen und schauten auf die riesige, verwirrende anlage. anschliessend erkundeten wir aber noch das so genannte "paradies", den teil des ehemaligen fabrikgeländes, der dem verfall überlassen wurde und den sich die natur stück für stück zurückerobern darf - der aber auch als ausstellungsort für die regelmässig stattfindende street-art biennale dient.
für die rückfahrt wählten wir einen anderen weg, der uns nach einer strecke an der saar über ein idyllisches tal und einige hügel von der französischen seite her zur ferienwohnung brachte.
am abend assen wir in einer gastwirtschaft auf den spicherer höhen - mit blick auf ehrenmale für die gefallenen einer der ersten schlachten im deutsch-französischen krieg am 6. august 1870. ein krieg, der für mich bisher nur ein datum war, hier trafen wir auf schritt und tritt auf kriegsgräber und erinnerungen an diesen konflikt unter nachbarn. kaum vorstellbar ist für uns heute diese feindschaft, da wir ohne hindernisse jeden tag mehrmals die deutsch-französische grenze überquerten, auf deren beiden seiten jeweils fast genau so viel französisch wie deutsch gesprochen wird.
für den zweiten tag auf der völklinger hütte nahmen wir das auto - so schön war der weg mit dem rad doch nicht gewesen. und wir bekamen so die gelegenheit, etwas früher vor ort zu sein, denn heute brauchten wir zeit - viel zeit, um uns die filme von julian rosefeldt anzuschauen, die im rahmen der ausstellung "when we are gone" zu sehen sind. hauptstück ist die installation "euphoria", eindeutig mehr als ein film, der den kapitalimus in frage stellt, denn zusätzlich zur hauptleinwand sind vier drummer und der chor aus schüler:innen zu sehen, die zwischen den einzelnen teilen des films die grossartige musik performen. (ein kleiner eindruck, leider nur vom hauptfilm und der musik bietet
dieser trailer.)
es fühlt sich schon ein wenig seltsam an, bei schönstem wetter zwei stunden auf grossen kissen in einer ehemaligen industriehalle im dunkeln herumzuliegen und filme anzuschauen, aber es war jede minute wert. und he, zu was hat man sonst urlaub?
diesmal hatten wir uns auch ein picknick mitgebracht, denn leider gibt es nur an einer sehr unattraktiven ecke der hütte einen biergarten. so durchwanderten wir abermals das paradies, verpflegten uns, und mäanderten anschliessend durch die teile des areals, die wir noch nicht gesehen hatten. mehr streetart, mehr morbider charme des zerfalls.
und immerhin haben wir auch noch die installation zum gedenken an die zwangsarbeiter:innen, die während des zweiten weltkriegs im werk tätig waren, gefunden.
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aus den blechkästen tönte ein stimme, die die namen der zwangsarbeiter:innen vorlas.
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zum finale stiegen wir noch mal ganz nach oben, auf die besucherplattform.
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und wir haben tatsächlich noch einen roheisentransport gesehen! in den zigarrenförmigen behältern zwischen den gelben teilen ist flüssiges roheisen, das von dillingen in das stahlwerk fährt.
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wir waren uns einig, dass es eine sehr gute idee gewesen war, uns zwei tage zeit zu nehmen, um die völklinger hütte zu erkunden. slow tourism, wir sind die fans dieser art des reisens.
oder manchmal halt auch nicht.
denn an diesem abend fuhren wir noch zur saarschleife - zum abendessen und zu einem anschliessenden abendspaziergang zur aussichtsplattform.
dafür hatten wir es am samstag dann wieder echt gemütlich - ausser einem ausflug auf den bauernmarkt in saarbrücken, kaffeetrinken im hinterhof und den vorbereitungen für ein ausführliches picknick am abend im deutsch-französischen garten haben wir nichts getan. naja, halt noch ein klitzekleines stückchen radgefahren sind wir dann schon auch noch.
am sonntag hatten wir die wahl zwischen einer nachmittagsführung durch ein kohlebergwerk im französischen petite rouselle oder einer radtour... und entschieden uns für die radtour, denn die führung klang ein bisschen sehr nach virtueller realitätssimulation.
also radelten wir nach saargemünd, wie uns mehrfach empfohlen worden war. entlang der saar geht es eigentlich immer eben, teilweise auch am saarkanal entlang. und die strecke ist nicht wirklich weit.
ja, es steht wirklich überall industrigeschichte herum. oder einfach alter krempel.
in sarreguimens, wie saargemünd auf französisch heisst, fanden wir wieder einen freiwilligen fremdenführer, der uns darauf aufmerksam machte, dass hier früher viel keramik hergestellt wurde.
die schönen fliesen am ehemaligen casino der fabrik hätte es uns auch gesagt - aber verschwiegen, dass es ganz in der nähe ein museum gibt, das die technik der industriellen keramikherstellung zeigt.
das liegt dann schon an einem zufluss der saar, der blies, in der ehemaligen bliesmühle. dort wurde früher vor allem der rohstoff für die keramikproduktion hergestellt, heute kann jedoch den kompletten produktionsprozess dort nachvollziehen.
und zwar von der herstellung des tongemischs, das in platten gepresst wurde...
.... über die ausformung über modeln und das giessen der hohlformen, bis zum brennen...
... und zum anschliessenden bemalen und glasieren.
es wurden dort auch verschieden aktivitäten für kinder angeboten, vielleicht auch, weil am ersten sonntag im monat der eintritt ins museum frei ist.
uns zog es mehr in die gärten, wo die natur nicht ganz so wild wie bei der völklinger hütte die ehemalige industrieanlage überwuchert, sondern ein landschaftsgärtner am werk war. es blühten vor allem die rosen, viele davon nur einmal blühend, wir hatten also grosses glück, den garten in diesem zustand zu sehen.
den kaffee gab es im museumskaffee aus porzellan aus saargemünder produktion, das linke modell hätten wir gleich mitgenommen....
ein kleines stück folgten wir auf dem rückweg wieder der saar, bogen dann aber in welferding ab, um über einige steigungen (was sind wir dankbar für unsere e-velos) auf einen höhenzug zu gelangen, der uns eine rundumsicht bis zu den vogesen erlaubte. nach einer weile änderte sich die landschaft, es ging durch kleine wälder, über felder und schliesslich hinunter nach morsbach. hätten wir hier einen guten platz für eine kleine pause gefunden, wären wir vielleicht auf die idee gekommen, den heimweg über petite roselle zu nehmen, so fuhren wir im tal durch wohngebiete zurück zur ferienwohnung und später zum abendessen doch noch einmal nach alt-saarbrücken. durch die vielen pausen unterwegs und die abwechslungsreiche route war uns kaum aufgefallen, dass wir 70 kilometer geradelt waren.
fazit der reise: an der saar gibt es viel zu entdecken - nicht nur industriegeschichte, aber davon besonders viel und intensiv. ob wir noch einmal wieder kommen? vielleicht zu einer anderen ausstellung in der hütte, eher nicht zum radfahren, das uns aber in den letzten tagen doch viel spass gemacht hat.