Samstag, 15. Juni 2024

nach zehn jahren wieder im bergell

ab und zu zieht es uns in dieses südliche bündner bergtal, aber dass unser letzter aufenthalt hier gerade schon fast zehn jahre her sein sollte, konnten wir zuerst gar nicht glauben. aktueller anlass für die wahl des reiseziels war die entdeckung, dass in diesem jahr die biennale arte bregaglia stattfindet und dass wir ein kommodes reiseziel suchten. für den genesenden und (was wir bei der auswahl noch nicht wussten) für mich und meine rückenschmerzen. 

die hinreise

wir nahmen uns (für heutige verhältnisse, dazu weiter unten mehr) viel zeit für die anreise. bis reichenau fuhren wir auf der autobahn, dann über die dörfer, weil ich kai die felskirche in cazis zeigen wollte.



die nächste etappe führte uns bis zur rofflaschlucht. 


die geschichte des für besucher zugänglichen wasserfalls und des zugehörigen wirtshauses ist aber auch zu spannend. 
 

die vorfahren der heutigen besitzer waren auf grund grosser armut durch die verlagerung der handelswege nach eröffnung der eisenbahn über die albulalinie zur auswanderung nach amerika gezwungen, wo sie die niagarafälle zu sehen bekamen. aus dieser erfahrung entstand die idee, die heimische landschaft ebenfalls touristisch nutzbar zu machen und die rückkehr in die schweiz, in der gerade die alpen für reisende erschlossen wurden. 


der besondere clou: man kann hinter dem wasserfall durchgehen!

nach einem kaffee ging es weiter über den splügenpass nach italien und von süden dann ins das val bregaglia hinein.

das hotel

das schild, an das ich mich noch gut erinnern kann und das immer in der einfahrt zum hotel stand, liegt mittlerweile auf den stufen in den keller

ein bisschen übermütig hatten wir ein zimmer im hotel bregaglia gebucht - einem fast hundertfünfzigjährigen kasten von hotel, von der zeit auch schon mal als "findling" bezeichnet. zur zeit der erbauung diente es der gewöhnung an die bergluft, bevor die sommergäste aus mailand weiter hinauf ins engadin zogen. kaum mehr vorstellbar für uns, die wir uns insgesamt nur vier tage zeit genommen hatten. geöffnet ist das (nicht beheizbare) hotel ausschliesslich im sommer, die allermeisten räume sind angeblich mehr oder weniger original erhalten (sieht man von so nebensächlichen annehmlichkeiten wie elektrischem licht oder fliessendem wasser ab). 
 

wir hatten mit unserem zimmer nicht ganz so viel glück, der laminatboden, das eingebaute 80er-jahre badezimmer und das textilbezogene doppelbett erinnerten eher an drittklassige dorfhotels und liessen uns zuerst einmal beinahe am sinn des bleibens zweifeln. 

glücklicherweise sind wir dann doch geblieben, glücklicherweise war aber auch das wetter deutlich besser als angesagt, so dass wir nicht ganz so viel zeit im hotelzimmer verbrachten.

wenn wir gegangen wären, hätten wir auch ein etwas seltsames erlebnis rund um das hotelfrühstück verpasst. am ersten morgen fanden wir das schon erwähnte schweizweit übliche hotelfrühstück mit brot, zopf, butter, honig, konfi und käse vor. als getränke gab es zur auswahl tee, löslichen kaffee in einer thermoskanne und milch. nun ist löslicher kaffee nicht gerade die geschmacksoffenbarung, aber da wir auch durch unsere reisen durch tschechien da ein bisschen flexibler sind als mancher zeitgenosse, amüsierten wir uns nur ein bisschen und freuten uns über die frische milch. 

am zweiten morgen erwartete uns das nämliche. aber als wir uns gerade am buffet versorgt und an den tisch gesetzt hatten, erschien die wirtin und fragte uns nach unseren kaffeewünschen. unsere tassen mit löslichem wurden abgetragen und wir bekamen frischen cafélatte aus der espressomaschine, sogar noch eine zweite portion. die anwesende wandergruppe, da waren wir uns recht einig, hatte sich nach wie vor an den thermoskannen bedienen müssen. am dritten morgen waren wir ohnehin alleine beim frühstück (und vermutlich auch so ziemlich die einzigen hotelgäste), da blieben die thermoskannen gleich in der küche. 

nach wie vor haben wir keine ahnung, was zu unserem kaffee-upgrate gesorgt haben könnte...

die arte bregaglia

nachdem es am abend unserer ankunft geregnet hatte und wir nach einer ausführlichen pause der einfachheit halber in der hoteleigenen trattoria gegessen hatten (aber total lecker!), begrüsste uns am mittwochmorgen die sonne. nach dem frühstück machten wir uns auf den weg nach bondo, dem dorf, in dem und um das herum, die künstler ihre antworten auf die landschaft und das thema architektur und gärten formuliert haben. 

wer durch das dorf bondo mit seinen alten häusern und ställen, dem salispalast und den umgebenden gärten spaziert, dem leuchtet die auswahl des orts für die biennale eigentlich sofort ein. alle kunstwerke, auch die rundherum in den wiesen liegenden, können zu fuss bequem erreicht werden. wir brauchten einen halben tag um alles zu sehen.  

ich zeige ihnen hier nur die werke, die mir besonders gut gefielen.  

auf der bondoer seite der hängeseilbrücke über die bondasca hat der japanische künstler kotoaki asano einen von drei windpavillions aufgespannt. wind und licht verändern dieses kunstwerk ständig, so dass es  mit den fotos nicht vollständig widergegeben werden kann. was man aber gut sieht, ist die einbindung in die landschaft.


 

an der arbeit von juliana rios martinez wären wir beinahe vorbeigegangen, so gut fügt sich ihr in traditioneller sgraffito-technik ausgeführtes wandbild an der aussenseite des friedhofs in das ortsbild ein. das ziel der kolumbianerin, "teil der orte, an denen sie arbeitet, zu sein" ist also so ziemlich aufgegangen.

das tomatenhaus von athene galiciades hingegen leuchtete uns schon von weitem entgegen. die architektur des schutzdachs aus gewachsenen ästen findet sich auch in den gärten des tales wieder.

allerdings nirgends so farbenfroh - die formen und farben der schweizer künstlerin waren uns schon von ihrer einzelausstellung in zürich vertraut.

nun wächst in ihrem schutz eine bunte mischung aus tomaten und kräutern - die shelter, die an notdürftige hütten von geflüchteten erinnerten, sind gedanklich ganz weit weg, aber immer noch da.

nach der baumoräne von jonathan steiger mussten wir dann wieder ein bisschen suchen.

wir fanden sie am südlichen dorfrand auf den ersten blick eher unspektakulär.

das konzept jedoch ist recht verblüffend: von den häusern und grundstücken des dorfs hat sich der künstler steine "ausgeliehen" und damit sie nach beendigung der ausstellung wieder zurückggegeben werden können, fein säuberlich nummeriert und katalogisiert, bevor er sie zu einer niedrigen mauer aufgestapelt hat.


eine weitere arbeit, die eher in den bereich der konzeptkunst gehört, mochte ich auch noch sehr: lea schaffner hat mit hilfe eines videos ein gespräch mit einer dorfbewohnerin in und über ihren garten in bondo dokumentiert. mit ihrer arbeit knüpft sie an das von ihr entwickelte konzept der "eigenwilligen archive" an - nun würden mich ihre anderen arbeiten interessieren. 

am ende bekamen wir keinen kaffee mehr in bondo, kehrten am frühen nachmittag ins hotel zurück und fuhren später, bei einsetzendem regen nach chiavenna, bevor wir uns zum abendessen wieder in die trattoria zu den wandergruppen setzten. 

die giacomettis

vielleicht die bekanntesten söhne des bergells sind künstler alberto, augusto und giovanni giacometti. auf deren spuren (und der der gesamten familie giacometti, sie noch weitere künstler hervorgebracht hat) kann man zwischen stampa, borgonovo und coltura wandern ohne sich gross anzustrengen. 

ein bisschen mühsam war die überlegung, wie wir anreisen wollten - eigentlich kein thema, denn vor dem hotel bregaglia starten für gewöhnlich die postautos in richtung engadin, italien und sogar hinauf nach soglio. nur halt gerade in dieser woche nicht, denn rund um bondo wird immer noch gebaut, um nicht nur die schäden des bergsturzes von 2017 zu beseitigen, sondern auch für weitere ähnliche ereignisse gewappnet zu sein. es gab aber einen shuttle-service, der reisende zur nächsten bushaltestelle brachte, derjenigen, an der wir unsere runde starten wollten. 

in stampa gibt es vor allem viele häuser zu sehen, in denen verschiedenste verwandte gewohnt haben - am eindrücklichsten vielleicht das haus, in dem giovanni giacometti wohnte und den gegenüberliegenden stall zum atelier ausbaute - und welche arbeiten er alle übernahm, um seine künstlerische arbeit weiterführen zu können. 

weiter führte uns die strasse zu der vor dem ort borgonovo gelegenen chiesa die san giorgio, auf deren friedhof die meisten familienmitglieder begraben liegen. uns fielen die für bildhauer und maler sehr bescheidenen und sachlichen grabsteine, die oft noch die verwandten geschaffen haben, auf. in der kirche auch ein glasfenster von augusto giacometti. 


 in borgonovo gab es weitere häuser von familienmitgliedern zu sehen, da fanden wir die milchziegen schon spannender. 


wir überquerten die mera auf der auffälligen doppelbrücke und gelangten über blühende bergwiesen nach coltura. 

und entdeckten eine feuerlilie, später weiter oben, ausserhalb der fotografierreichweite, noch mehr. 

in coltura fällt sofort der palazzo der familie castelmur auf - eine bergeller familie, die zunächst ausgewandert nach venedig, dann von dort vertrieben und später in marseille ansässig, reich geworden in ihr heimisches tal zurückkkehrten und sich hier einen palazzo bauen liessen. reich geworden waren sie als "zuckerbäcker" und dazu passt auch ihr palazzo. 



überall im haus gibt es noch ein weiteres protziges oder einfach nur kitschiges detail zu sehen.


speziell aufgefallen sind uns eine decke, die es genauso im grossen foyer des hotel bregaglia zu bestaunen gibt (nur deutlich schlechter beleuchtet, deshalb auch nicht fotografiert). 


 und eine weitere merkwürdigkeit - die zufalltüre.


um sicherzustellen, dass die türen zufallen, hat man das untere scharnier verlängert und nach aussen gesetzt. auch das fanden wir so im hotel wieder und haben es zuvor noch nirgends gesehen (oder einfach noch nie bemerkt?) 

vom schloss trödelten wir zurück zur strasse und tatsächlich nahm uns der zubringerbus auch an einer anderen haltestelle mit! und brachte uns zurück zum hotel. 

nach einer weiteren längeren pause machten wir uns dann noch einmal auf den weg nach bondo, tranken vor dem dorfladen einen fendant als aperitiv, sassen ein wenig auf einer wiese herum und kehrten schliesslich im crot da bond zum abendessen ein. und da war es dann so schön, dass ich für einmal das fotografieren komplett vergessen habe - zum abendessen entschieden wir uns beide für eine polenta-spezialität mit buchweizen und mais, für mich mit gorgonzola, für kai mit einer luganighetta. zum abschluss teilten wir uns eine eiscreme mit bergeller bitter - superlecker! ein schöner abschlussabend unserer kleinen reise. 

am nächsten morgen versorgten wir uns noch mit polenta taragna, pizzoccheri und käse aus dem tal und machten uns dann auf den heimweg über den maloja und den albulapass. in filisur tranken wir kaffee und assen kuchen, dann ging es vollends nach hause.


 

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