Sonntag, 3. Juli 2022

auftragsarbeit in filz

in einer idealen welt ginge ich täglich in meine werkstatt (oder vielleicht auch nur, wenn mich die musse küsste) und machte spannende dinge mit wolle und wasser , setzte neue filzideen um, feilte an anderen ideen weiter und verfeinerte meine technik und methoden zunehmend. dabei entstünden schöne dinge, die mir nette menschen aus den händen rissen und dafür viel geld bezahlten. (konjunktiv ist schon schön, gell?)

in der realen welt aber ist das leider nicht nur nicht wie oben beschrieben, sondern ich habe auch noch eine ganze menge fixkosten, die jeden monat anfallen. material, werkstattmiete, nebenkosten, sozialversicherung, müllgebühren, website wollen bezahlt sein, bevor ich überhaupt einen rappen an meiner arbeit verdiene. 

in der realen welt bin ich deshalb gelegentlich froh, dass es auftragsarbeiten gibt, die mir eine art grundbetrag in die kasse spülen. auftragsarbeiten anzunehmen heisst aber oft, dass ich nicht das mache, was ich schön oder herausfordernd finde, sondern was der kunde/die kundin gerne haben möchte.


herausfordernd sind solche arbeiten dann auf eine ganz andere art und weise, denn damit sie sich für mich lohnen, muss ich zuerst einmal herausfinden, wie viel zeit ich für eine bestimmte arbeit brauche, wieviel material benötigt wird und wo ich es in der gewünschten qualität in nützlicher frist bekomme. 

am einfachsten ist es, wenn ich einen protoypen anfertigen kann. das lohnt sich aber nur, wenn das filzobjekt später in serie gehen soll. serien sind aber auch noch in einer anderen hinsicht eine gute sache, denn das material für eine grosse serie kann ich am stück einkaufen und bekomme beim wollhändler bessere konditionen. 


bei der erstellung des prototypen notiere ich alle arbeitsschritte detailliert. dabei schreibe ich nicht nur auf, was ich gemacht habe, sondern auch wieviel wolle ich verwendet habe und wie viel zeit auf die einzelnen arbeitsschritte entfallen. der angebotspreis setzt sich dann aus den materialkosten und dem stundenlohn zusammen. 


hört sich einfach an, muss aber beides auch berechnet werden. so berechne ich die materialkosten nicht aufgrund des einkaufspreises, sondern rechne auch noch porto, eventuell zoll, das handling (zeit für händlersuche, bestellung)  und eine zusätzliche menge an material ein, die vielleicht für fehlversuche "drauf" geht. 


noch komplexer ist der stundenlohn zu berechnen. damit ich meine arbeit erbringen kann, fallen ja eine ganze menge an fixkosten an, wie ich oben schon beschrieben habe. ich muss also deutlich mehr für die stunde verlangen als das, was ich gerne mit meiner arbeit verdienen möchte. alle fixkosten, die über das jahr so anfallen, rechne ich deshalb zusammen. dann berechne ich eine anzahl an arbeitstagen, beziehungsweise arbeitsstunden pro jahr. das sind nicht nur die stunden, die ich in der werkstatt am filzen bin, sondern ich berücksichtige dabei auch die zeit, die ich mit akquise und verwaltung am computer und am telefon verbringe. schliesslich muss für jeden auftrag auch eine rechnung geschrieben werden und jede einnahme und ausgabe notiert werden. das ist sozusagen der sockel, auf den ich dann meinen verdienst aufschlagen kann. glücklicherweise muss ich das nicht für jeden auftrag neu berechnen. eine neuberechnung wird aber immer dann notwendig, wenn sich preise ändern und ich fürchte, das wird in diesem jahr noch der fall sein, denn meine vermieterin hat schon angekündigt, dass die energiekosten nun nach verbrauch abgerechnet werden sollen und nicht mehr pauschal. was das für mich konkret bedeutet, wird sich erst am jahresende zeigen. aber ich vermute mal, dass es nicht weniger werden wird. 

warum ich das alles hier so ausbreite? 

weil ich in den letzten tagen den grössten auftrag abschliessen konnte, den ich jemals angenommen habe. dies sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller hinsicht. 

ich durfte für ein kleines unternehmen, das im bereich der sprachlichen frühförderung unterwegs ist, einhundert handpuppen herstellen. je fünfzig von zwei unterschiedlichen charakteren, die im unterricht eingesetzt werden.

ende vergangenes jahr ist die firma auf mich zugekommen, mit der bitte, einen kostenvoranschlag für diese handpuppen zu machen. nach einer groben kostenschätzung habe ich prototypen erstellt und mein angebot und die von mir gefilzten puppen wurden für  gut befunden. dabei kam für mich eine weitere komponente in die kostenplanung - entscheidend für mich war nämlich auch der zeitrahmen, in dem ich den auftrag abwickeln sollte. dabei stellte sich heraus, dass ein halbes jahr für die herstellung der handpuppen veranschlagt war, was mir die möglichkeit gab, meine kurse und die filzbaukastenmodule weiterhin parallel laufen zu lassen. 

im februar ging es so richtig mit der arbeit an den handpuppen los, immer wieder von kurswochen unterbrochen, wurden die ersten fünfzig puppen noch vor unserem englandurlaub über ostern fertig. 


ein meilenstein - den ich der auftraggeberin mitteilte, die sich freute. überhaupt war der kontakt stets sehr angenehm und wertschätzend.

für diese erste hälfte arbeitete ich insgesamt noch recht kleinteilig. pro arbeitshalbtag wurden je 3 puppen fertig. am nächsten arbeitshalbtag begann ich dann wieder von vorne mit abwiegen des materials, vorfertigung der gliedmassen, filzen des körpers und endbearbeitung. 


nach ostern ging ich die arbeit dann anders an - ich wog einmal pro woche die wolle für die geplante anzahl an handpuppen ab, bereitete alle gliedmassen vor, filzte die körper und erledigte die endbearbeitung für alle puppen der woche am schluss. 


sehr profitiert habe ich lustigerweise von meinem schmuckkurs, den ich im vergangenen jahr bei lisa klakulak belegt hatte - ohne die erfahrungen aus diesem unterricht hätte ich wesentlich länger für  arme, beine und augen gebraucht und hätte sie wahrscheinlich auch nicht so guter qualität herstellen können. 


ganz am ende mussten an allen puppen noch kleine stickarbeiten vorgenommen und die augen befestigt werden. das habe ich für jede sorte handpuppen je am stück erledigt, einen teil dieser arbeit konnte ich wie das filzen der augen an tagen erledigen, in denen ich jeweils eine person bei einer filzarbeit in der werkstatt begleitete.  


nun sind die hundert handpuppen in eine grosse kiste verpackt und warten auf ihre reise zur auftraggeberin. anschliessend bekomme ich den restbetrag für den auftrag überwiesen, denn bei einer derart grossen auftragssumme habe ich es mir vorbehalten eine anzahlung von einem drittel zu verlangen. 


die monate der serienfertigung waren nicht nur anstrengend. mit guter planung der wochen und einer unterscheidung zwischen kurswochen und serienproduktionswochen hielt sich der aufwand an hin- und herräumen in grenzen und ich wusste immer, was gerade priorität hatte. und ein bisschen schön war es schon auch, immer was zu tun zu haben und zu wissen, dass diese arbeit bezahlt wird. und zu sehen, wie man arbeitsprozesse optimieren und nicht nur schneller, sondern auch präziser und effektiver filzen kann. 

(alle fotos im beitrag sind während der arbeit an diesem auftrag entstanden - nicht immer unter den besten bedingungen, mehr nach dem prinzip hauptsache dokumentiert!)




2 Kommentare:

  1. Toll der Einblick in diese grosse, langdauernde und doch sehr aufwendige Arbeit, Danke!
    Als „Mini-HobbyFilzfrau“ kann ich wenigstens es bitzeli nachvollziehen, was das für eine Arbeit war, Herzlichen Glückwunsch! Super!
    Die Handpuppen werden ihren Zweck hoffentlich gut erfüllen und geschätzt werden.
    Es Grüessli vom Rhy, Gertrud

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Stefanie, herzlichen Glückwunsch zu deinem Großauftrag! Ich finde es toll, dass du so viele Handpuppen gefilzt hast. Was für eine Arbeit! Und dass sich das auch noch gelohnt hat. Das habe ich nie hinbekommen, dass sich der Aufwand finanziell gelohnt hat - damals, als ich noch einen Dawanda-Shop hatte. Ich habe damals übrigens mit dem Filzen aufgehört, als ich einen Großauftrag für Wärmflaschen von einem Hotel bekommen habe, weil ich ausgerechnet hatte, dass ich das niemals zu einem angemessenen Stundenlohn schaffen würde. Aber ich habe das Filzen ja auch nie so professionell betrieben wie du. Ich finde es super, wie du das machst. Liebe Grüße, Ute

    AntwortenLöschen

deine kommentare sind hier willkommen - ich freue mich über deine gedanken zu meinen texten und bildern!

folgendes musst du aber wissen:
kommentare und profildaten werden an google übermittelt. es ist ebenfalls möglich, anonym zu kommentieren, hier wird nur deine ip-adresse zu meiner sicherheit gespeichert. zur datenverarbeitung und zu deinen widerrufsmöglichkeiten verweise ich dich auf die datenschutzerklärung (link oben im blog).